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ARBEITSrecht: Tarifverträge im Baugewerbe nicht mehr allgemeinverbindlich 

Kanzlei Blog • 5. Oktober 2016

Die Allgemeinverbindlicherklärungen der Sozialkassentarifverträge im Baugewerbe sind unwirksam. in 2 Beschlüssen stellte das Bundesarbeitsgericht fest, dass die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 5 Tarifvertraggesetz (TVG) fehlen. Dies hat möglicherweise weitreichende Folgen in der Bau-Branche.

Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen von Tarifverträgen - Sozialkassenverfahren des Baugewerbes (AVE VTV 2008 und 2010)

Die Allgemeinverbindlicherklärungen des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 15. Mai 2008 und 25. Juni 2010 sind mangels Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nach § 5 TVG aF* unwirksam. Weder hat sich der zuständige Minister bzw. die zuständige Ministerin für Arbeit und Soziales mit der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) befasst noch war die nach damaligem Rechtsstand erforderliche 50%-Quote erreicht.

Auf Antrag der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) den Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 20. Dezember 1999 (...) gemäß § 5 TVG in der damals geltenden Fassung mit bereits im Antrag enthaltenen Einschränkungen bezüglich des betrieblichen Geltungsbereichs („Große Einschränkungsklausel“) für allgemeinverbindlich erklärt (AVE VTV 2008). Am 25. Juni 2010 erfolgte die Allgemeinverbindlicherklärung des VTV vom 18. Dezember 2009 (AVE VTV 2010).

Die für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge regeln das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe. Bei den Sozialkassen des Baugewerbes (SOKA-BAU) handelt es sich um gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes (Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt - IG BAU -, Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V. - HDB - und Zentralverband des Deutschen Baugewerbes e.V. - ZDB -). Die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse erbringt Leistungen im Urlaubs- und Berufsbildungsverfahren, die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes zusätzliche Altersversorgungsleistungen, die jeweils in gesonderten Tarifverträgen näher geregelt sind. Zur Finanzierung dieser Leistungen werden nach Maßgabe des VTV Beiträge von den Arbeitgebern erhoben. Durch die AVE gelten die Tarifverträge nicht nur für die tarifgebundenen Mitglieder der Tarifvertragsparteien, sondern auch für alle anderen Arbeitgeber der Branche. Sie sind hiernach zur Beitragszahlung verpflichtet. Sowohl die Arbeitgeber als auch ihre Beschäftigten erhalten Leistungen von den Sozialkassen.

Bei den Antragstellern handelt es sich überwiegend um Arbeitgeber, die nicht Mitglied einer Arbeitgebervereinigung sind und deshalb nur auf Grundlage der Allgemeinverbindlicherklärungen zu Beitragszahlungen herangezogen wurden. Sie haben die Auffassung vertreten, die gesetzlichen Voraussetzungen für die AVE hätten nicht vorgelegen. Insbesondere hätten die tarifgebundenen Arbeitgeber der Baubranche nicht 50% der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer beschäftigt (50%-Quote). Auch habe kein öffentliches Interesse für die Allgemeinverbindlicherklärungen vorgelegen. Das Landesarbeitsgericht hat die Anträge zurückgewiesen und festgestellt, dass die angegriffenen Allgemeinverbindlicherklärungen wirksam sind.

Die vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerden hatten vor dem Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Die Allgemeinverbindlicherklärungen vom 15. Mai 2008 und vom 20. Juni 2010 des VTV sind unwirksam. Bei der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen handelt es sich um Normsetzung, die nach dem in Art. 20 GG verankerten Demokratieprinzip die Befassung des zuständigen Ministers für Arbeit und Soziales erfordert. Eine solche Befassung ist jedoch weder durch den damaligen Minister Olaf Scholz in Bezug auf die AVE VTV 2008 noch hinsichtlich der AVE VTV 2010 durch die seinerzeitige Ministerin Dr. Ursula von der Leyen erfolgt. Darüber hinaus gibt es keine tragfähige Grundlage für die Annahme des BMAS, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der AVE VTV 2008 und 2010 in der Baubranche mindestens 50% der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigt waren. Insbesondere durfte, anders als vom BMAS angenommen, die in der jeweiligen AVE vorgenommene Einschränkung des betrieblichen Geltungsbereichs bei der Berechnung der 50%-Quote nicht berücksichtigt werden.

Die Feststellung der Unwirksamkeit der AVE VTV 2008 und 2010 wirkt gem. § 98 Abs. 4 ArbGG für und gegen jedermann. Sie hat zur Folge, dass im maßgeblichen Zeitraum nur für tarifgebundene Arbeitgeber eine Beitragspflicht zu den Sozialkassen des Baugewerbes bestand. Andere Arbeitgeber der Baubranche sind nicht verpflichtet, für diesen Zeitraum Beiträge zu leisten. Rechtskräftig abgeschlossene Klageverfahren über Beitragsansprüche werden von der Feststellung der Unwirksamkeit jedoch nicht berührt; eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 580 ZPO ist insoweit nicht möglich. Ob im Übrigen unter Beachtung der Verjährungsfristen wechselseitige Rückforderungsansprüche hinsichtlich erbrachter Beitrags- und Erstattungsleistungen bestehen und ob die Feststellung der Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen des VTV aus den Jahren 2008 und 2010 einer Vollstreckung von Beitragsansprüchen aus rechtskräftigen Entscheidungen entgegensteht, hatte der Senat nicht zu entscheiden.


(Quelle: BAG, PM 50/16 , BAG, Beschluss vom 21. September 2016 - 10 ABR 33/15, Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss 17. April 2015 - 2 BVL 5001/14, 2 BVL 5002/14 und BAG, Beschluss vom 21. 09. 2016 ,10 ABR 48/15, Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. 08. 2015, 6 BVL 5006/14 zu AVE VTV 2014)

Zur Pressemitteilung des BAG geht es hier: BAG, PM 50/ 16

Mitgeteilt von Rechtsanwalt / Fachanwalt für Steuerrecht / Fachanwalt für Arbeitsrecht Martin J. Warm , Paderborn ( www.warm-wirtschaftsrecht.de )

von Kanzlei Blog 23. April 2025
„Ich wurde vom ersten Tag an herzlich aufgenommen und direkt in die laufenden Mandate eingebunden“ , berichtet Tim. Zu seinen Aufgaben zählten unter anderem juristische Recherchen, die Ausarbeitung von Gutachten sowie die Vorbereitung von Schriftsätzen. Unser Anspruch ist klar: Praktikantinnen und Praktikanten sollen nicht nur beobachten, sondern aktiv mitwirken – inhaltlich, organisatorisch und strategisch. So auch in diesem Fall. Unsere Tätigkeit ist geprägt von einer großen Bandbreite an Rechtsgebieten: Von "A" wie Arbeitsrecht bis hin zu "Z" wie Zivilrecht. „Viele Problemstellungen, die ich bisher nur aus Lehrbüchern kannte, konnte ich hier zum ersten Mal in der Praxis erleben – das hat mein juristisches Verständnis enorm vertieft“ , so Tim Engler. Mittendrin statt nur dabei. Ein besonderes Highlight waren für unseren Praktikanten die Teilnahme an Gerichtsverhandlungen und Mandantenterminen. Die unmittelbare Nähe zur anwaltlichen Tätigkeit hat Tim wohl nachhaltig beeindruckt: „Zu sehen, wie aus Vorbereitung, Strategie und juristischem Handwerk konkrete Verhandlungsergebnisse werden, war für mich extrem spannend“ , beschreibt Tim seine Eindrücke. Auch die Organisation des Kanzleialltags und die internen Abläufe waren Teil des Praktikums. „Herr Warm hat sich die Zeit genommen, mir die anwaltlichen Prozesse verständlich zu erklären – ein Bereich, der im Studium meist zu kurz kommt, aber im Berufsleben entscheidend ist.“ „Ich kann ein Praktikum bei Warm und Kollegen uneingeschränkt empfehlen – für alle, die wirklich verstehen wollen, wie der Anwaltsberuf in der Praxis aussieht.“ Über dieses Feedback freuen wir uns sehr. Für uns als Kanzlei ist klar: Der gegenseitige Austausch mit Praktikantinnen und Praktikanten bereichert auch unser Team – fachlich wie menschlich. Wir bedanken uns bei Tim Engler für seine engagierte Mitarbeit und wünschen ihm für seinen weiteren Weg alles Gute! Interesse an einem Praktikum bei uns? Mit diesem Angebot unterstützt Warm & Kollegen Rechtsanwälte gerne Studenten einschlägiger fortgeschrittener Studiengänge. Die Kanzlei ist jederzeit offen für die Fortbildung engagierter Rechtspraktikanten und Rechtsreferendare. So belebend ein Praktikum für den Praktikanten oder den Referendar ist, so ist dies auch für das Team der Kanzlei. Wir sind gerne mitverantwortlich für die Ausbildung des juristischen Nachwuchs und für die Weiterentwicklung junger Menschen. Die Investition in die Zukunft junger Menschen und die Vermittlung der eigenen Erfahrungen ist ein wesentlicher gesellschaftlicher Grundpfeiler. Sollten Sie sich für ein Rechtspraktikum oder Rechtsreferendariat in der Kanzlei Warm & Kollegen interessieren, bewerben Sie sich bei Rechtsanwalt Warm. Mitgeteilt von Rechtsanwalt / Fachanwalt für Steuerrecht / Fachanwalt für Arbeitsrecht Martin J. Warm, Paderborn ( www.warm-rechtsanwaelte.de )
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