Aktuelles & Rechtstipps

STEUERSTRAFrecht: Strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige

Martin J. Warm • Apr. 20, 2016

Medienberichte über Ankauf von Steuer-CDs können Selbstanzeige "sperren"

Wer schwarze Auslandskonten unterhält und sich gegenüber dem deutschen Fiskus offenbaren will, kann mit einer Selbstanzeige ungestraft zur Steuerehrlichkeit zurückkehren. Die ersehnte Straffreiheit tritt nach einem neueren Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts allerdings nicht ein, wenn der Anleger zuvor in der Medienberichterstattung über den Ankauf von Steuerdaten seiner Bank erfahren hat.

Eine Selbstanzeige ist für Steuersünder ein attraktives Instrument, um ohne strafrechtliche "Blessuren" zur Steuerehrlichkeit zurückzukehren. Die strafbefreiende Wirkung einer Selbstanzeige tritt nach dem Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO allerdings nicht ein, wenn eine der Steuerstraftaten bei Abgabe der Selbstanzeige bereits ganz oder teilweise entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste.

Mit dem letzten Tatbestandsmerksmal des "Rechnenmüssens" hat sich das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) mit Beschluss vom 30.10.2015 sehr ausführlich auseinandergesetzt: Im Zentrum der Entscheidung stand die Frage, ob ein Anleger mit verschwiegenen Auslandskonten in Anbetracht einer ausführlichen Medienberichterstattung über den Ankauf einer Steuer-CD durch den deutschen Fiskus mit der Entdeckung seiner Straftat rechnen musste, sodass seine Selbstanzeige keine strafbefreiende Wirkung entfaltet.

Der Fall: Anleger erstattet Selbstanzeige, Datensätze waren bereits ausgewertet

Im Entscheidungsfall hatte ein Anleger verschiedene Konten und Depots bei den schweizerischen Banken Credit Lyonnais, Baumann & Cie. und Julius Bär unterhalten und die damit erzielten Kapitaleinkünfte über Jahre nicht in seinen deutschen Einkommensteuererklärungen angegeben. Nachdem die nordrhein-westfälischen Finanzbehörden zum Jahreswechsel 2011/2012 eine Steuer-CD mit Kundendaten des Bankhauses Julius Bär angekauft hatten und die Presse darüber (samt Bankennennung) berichtet hatte, offenbarte sich der Anleger am 6.9.2012 mit einer Selbstanzeige bei seinem Finanzamt. Was er zu diesem Zeitpunkt noch nicht (sicher) wusste: Die Finanzverwaltung hatte die Datensätze zu diesem Zeitpunkt bereits ausgewertet, seine Kundendaten entdeckt, einen Verdachtsprüfungsvermerk geschrieben und ein Steuerstrafverfahren gegen ihn eingeleitet.

Die Entscheidung: Keine strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige

Das OLG entschied, dass der Selbstanzeige keine strafbefreiende Wirkung zukam, weil die Steuerstraftat bereits "entdeckt" war und der Anleger damit gerechnet haben musste, dass seine Hinterziehungstaten bereits entdeckt worden waren. Damit lag der Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO vor.

Der gesetzliche Begriff des "Rechnenmüssens" ist eine Beweisregel zu Ungunsten des Täters. Ob dieser aufgrund der ihm nachweislich bekannten Umstände mit der Tatentdeckung rechnen musste, ist nach seinen individuellen Fähigkeiten zu entscheiden. Maßgeblich ist, ob er nach seiner persönlichen Erkenntnis- und Urteilsfähigkeit eine Tatentdeckung annehmen musste.

Während die überwiegenden Stimmen der Fachliteratur davon ausgehen, dass ein "Rechnenmüssen" erst vorliegt, wenn sich dem Täter aufgrund der ihm bekannten Umstände die Tatentdeckung aufdrängt, vertritt das OLG eine weitergefasstere Auslegung: Nach Gerichtsmeinung ist das Merkmal des "Rechnenmüssens" bereits erfüllt, wenn der Täter die Tatentdeckung für durchaus möglich oder wahrscheinlich hält. Es genügt für den Eintritt der Sperrwirkung, dass der Täter aufgrund der ihm bekannten Umstände eine Entdeckung für naheliegend hält, ohne hiervon aber bereits sicher ausgehen zu müssen.

Der Anleger im Entscheidungsfall musste nach diesen Maßstäben im Zeitpunkt der Selbstanzeige bereits mit der Tatendeckung gerechnet haben, denn er hatte nachweislich Kenntnis über den erfolgten Ankauf von Datensätzen der Bank Julius Bär gehabt. Die bloße Hoffnung des Anlegers, dass seine Kontodaten nicht auf der CD enthalten waren, stand der Annahme eines „Rechnenmüssens“ nach Gerichtsmeinung nicht entgegen.

Die Fachliteratur nimmt zwar an, dass ein Anleger auch bei medialer Berichterstattung über den Ankauf von Steuer-CDs erst dann mit der Tatentdeckung rechnen muss, wenn er vom Umfang der Datensätze und der Anzahl der betroffenen Kunden aus Deutschland erfährt. Das OLG befand diese Anforderungen allerdings für zu hoch angesetzt, weil den Medienberichten derartige Detailinformationen kaum jemals zu entnehmen sind.

Hinweis: Bei medialer Berichterstattung über einen Steuer-CD-Ankauf geht das OLG also relativ schnell davon aus, dass ein Anleger mit seiner Tatentdeckung rechnen muss und somit die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige entfällt. Nach dem Leitsatz des Beschlusses gilt dies jedenfalls dann, wenn die Medien explizit über die Bank des Anlegers berichtet haben. Der Weg in die Straffreiheit wird mit zunehmender Intensität der Berichterstattung also stetig schmaler.

(Quelle:Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss v. 30.10.2015, 2 Ss 63/15 (71/15), haufe.de/recht)

TIPP: Handeln Sie am besten selbst, bevor Taten an die Öffentlichkeit gelangen. In der Praxis ist es wichtig, sich zumindest rechtlichen Rat beizeiten einzuholen, um dann entscheiden zu können, wie Sie reagieren. Anderenfalls droht der Verlust der strafbefreienden Wirkung der Selbstanzeige. Sprechen Sie offen mit Ihrem Anwalt!

Mitgeteilt von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Martin J. Warm , Paderborn ( www.warm-wirtschaftsrecht.de )



von Kanzlei Blog 02 Mai, 2024
Die Neufassung des NachwG ( Umsetzungsgesetz v. 20. Juli 2022, BGBl. 2022 I Nr. 27, S. 1174 ) und die sie daraus ergebende Nachweispflicht von Arbeitgebern, wesentliche Vertragsbedingungen des Arbeitsverhältnisses schriftlich zu dokumentieren, stellt viele Arbeitgeber vor rechtlichen Hürden. So sieht § 2 NachwG eine „Schriftlichkeit“ vor. Insgesamt ist die Dokumentation in Textform gem. § 126 b BGB zum Beispiel per E-Mail unzulässig.
von Can Kaya 20 Apr., 2024
Wenn Sie als Erbe oder Pflichtteilsberechtigter mit der Vollständigkeit eines notariellen Nachlassverzeichnisses nicht zufrieden sind, sollten Sie die rechtlichen Rahmenbedingungen kennen, innerhalb derer ein Notar Ermittlungen anstellen muss.
von Martin J. Warm 23 März, 2024
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden: Erkrankt ein Arbeitnehmer während der Kurzarbeit "null", werden die ausgefallenen Arbeitstage nicht als Zeiten mit Arbeitspflicht betrachtet, wenn es um die Berechnung des Jahresurlaubs geht. Selbst bei Krankheit vor Einführung der Kurzarbeit ändert sich laut dem jüngsten Urteil des BAG vom 05.12.2023 (Az. 9 AZR 364/22) nichts an der durch Kurzarbeit geänderten Arbeitszeitverteilung.
von Kanzlei Blog 22 März, 2024
Am Karsamstag, den 30.03.2024, wird Paderborn erneut zum Mittelpunkt des Laufsports, da der 76. Paderborner Osterlauf stattfindet. Dieses traditionsreiche Event lockt jedes Jahr tausende begeisterte Läuferinnen und Läufer aus ganz Deutschland an. Als Kanzlei freuen wir uns außerordentlich, in diesem Jahr als Förderer dieses historischen Laufs auftreten zu dürfen.
von Can Kaya 19 März, 2024
In einem bemerkenswerten Fall hat das Oberlandesgericht Oldenburg (Beschluss vom 20. Dezember 2023 - 3 W 96/23) die Gültigkeit eines Testaments anerkannt, welches auf einer ungewöhnlichen Weise verfasst wurde: Ein handgeschriebener Zettel, abgerissen von einem Brauereiblock, der normalerweise für die Bestellungen in einer Dorfkneipe verwendet wurde.
von Kanzlei Blog 03 März, 2024
Der BGH betont in zwei aktuellen Entscheidungen, dass Baumaßnahmen, welche der Barrierefreiheit dienen, von demjenigen Wohnungseigentümer bezahlt werden müssen, der die Maßnahme verlangt. Die Eigentümergemeinschaft bleibt insoweit von den Kosten verschont.
von Martin Warm 02 März, 2024
Das Oberlandesgericht München hat in seinem Urteil vom 13. Mai 2020 (Az: 7 U 1844/19) eine bedeutende Entscheidung zum Ausschluss eines Gesellschafter-Geschäftsführers ohne sachlichen Grund getroffen.
von Martin Warm 02 März, 2024
In der heutigen Arbeitswelt ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) am Arbeitsplatz unausweichlich. Doch die Verantwortung der Arbeitgeber im Umgang mit dieser Technologie ist von entscheidender Bedeutung. Ohne angemessene Überwachung und Kontrolle bergen KI-Systeme potenzielle Risiken, die nicht ignoriert werden sollten.
von Kanzlei Blog 21 Feb., 2024
In der aktuellen steuerlichen Landschaft stehen Unternehmen, insbesondere solche mit Technischen Sicherheitseinrichtungen (TSE) an ihren Kassen, vor neuen Herausforderungen. Betriebsprüfungen können zu Hinzuschätzungen führen, die Unternehmen finanziell belasten können. Doch welche Möglichkeiten haben Steuerpflichtige in dieser Situation?
von Kanzlei Blog 21 Feb., 2024
Wer zu erst dran ist, ist vorne! Wir bilden Rechtsanwaltsfachangestellte aus und nehmen ab sofort Bewerbungen unserer zukünftigen Auszubildenden entgegen!
Weitere Beiträge
Share by: